Ein Sommer im Winter
Was ist das nur für eine
Idee? Da flimmert eine Unterschriftensammlung über meinen Bildschirm, einige
hundert Namen sind bereits eingetragen, Namen aus allen Teilen der Welt, und
jetzt blinkt der Cursor auf meinem Bildschirm bei Nummer 418. Nummer 418, da
kann jetzt gleich mein Name stehen, dort kann ich ihn eingeben, meinen Namen
eingeben, kann ein Name mehr seine leise Stimme gegen den drohenden Krieg
erheben.
Doch mein Blick hat sich
von dem blinkenden Cursor gelöst, von der Nummer 418 gelöst, ist
stattdessen festgeklebt auf der Nummer
392: Manuela Garcia Maria Fernandez, Argentina. Jede Silbe dieses Namens
buchstabiert sich in mein Hirn, meine Zunge spricht still in mich hinein jede
einzelne Silbe dieses Namens, und ich lausche dem Zusammenklang dieser Silben.
Der Name wird wohl nicht
selten sein, nicht in Argentinien, darüber hinaus nicht einmal in Südamerika
oder Spanien. Und doch tanzen die Silben in meinem Kopf Tango. Einen Tango
wie in einer Vorstadtkneipe von Buenos Aires, in der die Gäste am Ende eines Tangos erschöpft zurück gehen an die mit
PVC- Tischdecken bedeckten Tische, Tischen, die direkt unter Neonlampen
placiert sind und dort nehmen die vom Tanz Entkräfteten und Erregten einen
kräftigen Schluck aus ihren Rotweingläsern.
Im Moment habe ich den
drohenden Krieg vergessen. Ich spüre den Schluck Rotwein, der Manuela Garcia
Maria ihre Lippen benetzt, der ihren Hals kitzelt und ihr ein warmes Gefühl im
Bauch hinterlässt. Dieses Gefühl schafft es endlich, dass ich meinen Blick vom
Bildschirm wenden kann, ich mein Arbeitszimmer verlasse, mir aus dem Keller
eine Flasche Rotwein hole.
Wieder vor meinem
Computer, die Rotweinflasche ist inzwischen nicht nur entkorkt, sondern schon
ein wenig geleert, ist mein Blick wieder auf die Nummer 392 der
Unterschriftenliste gerichtet, und Manuela Garcia erhebt sich von ihrem Tisch,
denn das Bandoneon beginnt die Klänge eines weiteren Tangos, eines alten
Liedes, eines bekannten Liedes, eines Liedes, das mit seiner Traurigkeit immer
wiederkehrt.
Was ist das nur für eine
Idee? Die Idee, Manuela Garcia Carmen eine Mail zu schreiben, deshalb eine Mail zu schreiben, weil der Klang
ihres Namens mich weggetragen hat in dem Augenblick, als ich meinen Namen
einreihen wollte in die Liste, die gegen die Unvernunft des Krieges ihren
Schrei erheben will. Ich werde ihr schreiben, gleich schreiben, aber erst werde
ich mich einreihen, meinen Namen an der Stelle 418 eintragen, meinen Namen eintragen gegen den Krieg.
Ich beginne, die Mail zu
schreiben. Das Mailfenster ist geöffnet. Was soll ich als Betreff schreiben?
Dein Name in meinen Ohren, meinem Kopf? Nein, ich lasse die Betreffzeile leer,
vielleicht liest sie diese Mail eines Unbekannten dann eher. Oder nicht? Dann
war es eben nur mein verrückter Einfall gewesen, im verrücktem Moment
realisiert und für immer vorbei. Dann war es nur ein Augenblick, mein
Augenblick und meine Verrücktheit, ein Augenblick ohne der Perspektive,
in der Zukunft weiter zu leben.
Ich sammle meine verschütteten Spanischkenntnisse zusammen und schreibe
Manuela Garcia. Frage sie, ob sie jetzt wohl Tango tanzt, während ich meinen Namen auf die Liste setze. Frage sie,
ob sie den Krieg vergessen kann beim Tangotanzen, hoffe für sie, dass sie es für einen Moment kann und frage sie,
wie ihr der Rotwein schmeckt, erzähle von dem Rotwein, den ich gerade trinke,
trinke an einem trüben deutschen Winterabend, und wie die Klänge des Bandoneon,
die in mir tanzen, mich verzaubern..........
Fortsetzung in Anthologie
„Netzgeschichten 5“ im Verlag yedermann, Nürnberg